Menschenskinder

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Wir sind alle gleich und wir sind alle verschieden.

Das geht natürlich nicht. Kann ja gar nicht gehen, denn A kann ja nicht gleich B sein und zugleich auch ungleich B. Logisch.

Aber dennoch:

Wenn es um Menschen geht, dann ist vieles möglich, sogar das Unmögliche. Und an das, also das Unmögliche glaube ich ohnehin nicht. Schon aus Prinzip. Es gab einmal Menschen, die meinten, es wäre unmöglich einen Seeweg nach Indien zu finden, indem man nach Westen segelt, da die Entfernung einfach zu groß wäre. Kolumbus hat`s trotzdem gemacht und dabei Amerika entdeckt (und nein, die Menschen glaubten damals nicht, dass die Erde eine Scheibe sei, zumindest nicht die Menschen die sich damit befassten und für alle anderen endete die Welt hinter dem nächsten Kirchturm). Später sagte man, es sei unmöglich, dass der Mensch sich in die Lüfte erheben könne, aber die Gebrüder Wright haben trotzdem ein Flugzeug gebaut. Auch die Mondlandung war unmöglich, bis sie stattfand (ja die Mondlandung halte ich für echt!!!).

Unmöglich ist nur, was über die Grenzen der Vorstellungskraft hinausgeht und diese Grenzen sind unendlich erweiterbar, wenn man nur will.

Aber zurück zum Thema und der Frage meiner Kinder im Zuge der Sportnachrichten. Ja auch solch banale Dinge können zu tiefgreifenden Fragen führen.

Zu sehen war ein Bericht über die amerikanische NBA.

„Warum sind da fast nur Afrikaner in der Mannschaft“, fragt meine Tochter und wundert sich offensichtlich. „Das sind keine Afrikaner, sondern Amerikaner“, sage ich betont besserwisserisch. „Eigentlich heißt das Afro-Amerikaner“, wirft mein Sohn ohne vom Handy aufzusehen ein. Ich erschrecke ein wenig, weil ich schon wieder vergessen hatte, dass er im Raum ist.
„Nein… und Ja“, sage ich und überlege kurz. Schließlich macht das keinen Sinn. Es gibt ja auch keine Afro-Deutschen, oder Asien-Engländer oder Karibik-Franzosen. Mein Sohn sieht mich dann doch kurz an, aber nur um mir mit einem leicht verärgerten Blick klar zu machen, dass er Recht hat und ich ihm nicht widersprechen soll.
Ich lächle ihn an. Er reagiert gar nicht darauf sondern wendet sich wieder dem Smartphone zu.
„Es stimmt schon, man bezeichnet die dunkelhäutigen Einwohner der USA als Afro-Amerikaner“ sage ich und fürchte wieder einmal, dass ich kurz davor stehe einen Kurzvortrag über die Besiedlung und Sklavenhandelsgeschichte Amerikas zu halten.

„Also“, brummt es hinter dem Handy hervor.

„Trotzdem sind es einfach Amerikaner, genauer gesagt Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, in ihrem Pass steht nicht Afro-Amerikaner“.

„Aber man sagt das halt so“, giftet er mich jetzt an und will das Thema beenden.

„Warum sagt man das so?“, will meine Tochter wissen.

Tja, warum sagt man das so? Warum unterscheidet man Amerikaner immer noch nach ihrer Hautfarbe? Whoopi Goldberg hat einmal gesagt, dass sie das Wort Afro-Amerikaner nicht mag, weil sie sich als Amerikanerin sieht. Schließlich wurde dieses Land ja mit Blut, Schweiß und Tränen der Sklaven errichtet, warum sollten gerade deren Nachfahren sich dann nicht als wahre Amerikaner bezeichnen dürfen?

„Weil die Menschen sich so schwer trennen können von ihren Grenzen die sie innerhalb ihrer Gemeinschaften ziehen“. Ich hoffe es war einfach genug für sie.

„Warum?“, fragt sie und ich frage mich still, ob wir die Warum-Phase nicht eigentlich schon hinter uns haben, obwohl ich es gut finde, wenn Kinder nach dem Warum fragen. Immer.

„Gruppen brauchen immer Grenzen um sich unterscheiden zu können, das stärkt dann zugleich die Zusammengehörigkeit im Inneren und hält die Gruppe stark und lebendig“. Versteht sie das jetzt richtig? Ich befürchte, ich beschreibe es falsch.

„Ach so, wie bei uns in der Schule, oder?“, fragt sie.

„Was meinst du?“, will ich wissen, denn es macht mich neugierig. Gibt es Probleme in der Schule?

„Na, wenn ein Mädchen aus der 3a zu einer von uns was blödes sagt, dann halten wir von der 3b alle zusammen, weil wir eben eine Klasse sind“.

Sie hat das Prinzip verstanden, ach was bin ich gerade stolz auf die Kleine.

„Ja genau“, sage ich und strahle sie an. Jetzt nur nichts falsches sagen, nicht zu langatmig und nicht zu ungenau, halte sie im Spiel, mach es interessant, dann bleibt sie dabei… denke ich mir, während ich nach den richtigen Worten krame.

„Wir alle gehören zu bestimmten Gruppen, Klassen, Familien, Bewohnern von Stadtteilen, Ländern, und so weiter“, sage ich und versuche nicht wie ein Lehrer zu klingen, „innerhalb dieser Gruppen sind wir alle verschieden, weil wir ja Individuen sind, aber gegenüber anderen Gruppen treten wir als gleiche oder sehr ähnliche Teile einer Gruppe auf. Manchmal bewusst, meist aber eben nicht“.

„Also sind die schwarzen Amerikaner eine eigene Gruppe und die weißen auch?“, fragt sie neugierig.

„Ja, im Grunde schon, aber nur weil es schwer ist diese Unterschiede abzubauen, vor allem weil die Trennung ja bis vor einigen Jahrzehnten noch so deutlich war“.

„Was meinst du damit?“, hakt sie nach.

„Na vor 50, 60 Jahren durften Schwarze in Teilen Amerikas nicht einmal dort essen, wo die Weißen aßen und so“.

„Und heute ist das anders?“, fragt sie.

„Zumindest offiziell“, sage ich, „aber in den Köpfen ist das immer noch drinnen. Und deshalb wachsen die Menschen so oft voneinander getrennt auf, dass sie sich erst begegnen, wenn Verhaltensweisen schon fest in ihnen drinnen sind“. Es ist schwer nach einfachen Worten zu suchen um so etwas zu beschreiben. „Und weil die meisten schwarzen Amerikaner keine guten Jobs bekommen sind viele arm und die Kinder können in ihrer Freizeit nicht viel unternehmen, also machen sie viel Sport, weil das meistens nicht so teuer ist. Und Basketball kann man schnell einmal irgendwo spielen. Deshalb speilen viele schwarze Amerikaner Basketball und deshalb gibt es viele gute schwarze Basketballer in Amerika“.

„Und was machen die Weißen?“, will mein Sohn auf einmal wissen?

„Die spielen Golf“, rutscht es mir raus. Wollte ich gar nicht sagen. Zu spät.

„Golf ist doch cool“, sagt meine Tochter, „ich würde gerne mal wieder Golf spielen gehen, bei den Dinos“.

„Das ist Minigolf“, verbessere ich sie. (Bei uns gibt es eine lustige Minigolfanlage am Dach eines Einkaufszentrums, dort stehen viele Dinos und andere prähistorische Tiere rum.)

„Nein, sage ich, darum geht es nicht, es spielen auch viele Weiße Basketball, aber die hören irgendwann auf, weil sie nach dem College gute Jobs bekommen, für viele Schwarze ist aber der Sport die einzige Berufsaussicht die sie haben, also hängen sie sich da voll rein“.

„Sind Weiße also nicht so gut wie Schwarze?“. Mein Sohn starrt mich an.

Jetzt gilt es. Jetzt nichts falsches sagen. Wichtige Lektion. Plötzlich denke ich an Wesley Snipes und Woody Harrelson, an die 90er Jahre als Michael Jordan durch die Hallen flog und Chris Laettner in seinen hässlichen hochgezogenen Socken unbeholfen daneben stand. Was nun?

„Quatsch!“, sage ich und hoffe es kommt richtig rüber.

„Was jemand kann hängt nicht von der Hautfarbe ab, sondern nur von Talent, Begabung und vor allem vom Fleiß und Ehrgeiz“.

„Aber Schwarze können besser tanzen als Weiße“, wirft mein Sohn ein.

„Das behauptet nur das Fernsehen“, sage ich belustigt, „nur haben afrikanische Kulturen einen anderen Zugang zu Musik und Bewegung und wachsen schon von klein auf mit viel Tanz und Musik auf, deshalb lernen sie Tänze schneller und leichter“.

Meine Tochter beginnt zu tanzen. Ungelenk und wackelig. Aber es ist meine Tochter, also ist sie die beste Tänzerin der Welt.

„Ich liebe Musik“, sagt sie und lächelt.

„Siehst du“, sage ich, „wie gut du tanzen kannst liegt nur an deiner Begeisterung dafür“.

„Ich finde tanzen doof!“, sagt mein Sohn in angewidertem Tonfall.

„Du bist ja auch ein Junge“, sage ich und ärgere mich, dass ich nicht nachgedacht habe, denn nun muss ich zur nächsten Erklärung ausholen und diese wird mich ganz sicher noch sehr lange verfolgen.

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