Eine Meinung muss man sich leisten können

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Die eigene Meinung ist so eine Sache. Man bildet sie sehr schnell, ist dann ziemlich festgefahren und veränderungsresistent und am Ende hat man oft vergessen, dass das was man für richtig hält nicht automatisch das ist, was tatsächlich richtig ist.

In früheren Zeiten war das nicht ganz so dramatisch. Man konnte ja für oder gegen eine Regierung sein, dann gehörte man so oder so immer noch irgendeiner Hälfte der Bevölkerung an. Man konnte amerikanische politische Interventionen schlecht finden und die NATO kritisieren und schlimm finden, war aber kein Extremist. Man konnte Impfungen doof finden ohne gleich ein Spinner zu sein (Anmerkung: Ich fand Impfungen nie doof, gerade die in der Schule waren immer eine willkommene Abwechslung zum öden Alltag).

Aber heute muss man genau aufpassen.

  • So bin ich zum Beispiel gegen den russischen Angriffskrieg und zwar ohne Einschränkungen. Ich halte die Vorwürfe der Gefahr durch die NATO für fadenscheinige Ausreden und Putin ohnehin für einen der allerschlimmsten (Pseudo)-Diktatoren seit Franco.
    So weit so gut, nur muss ich aufpassen, dass ich mir dann nicht den Applaus der amerikatreuen Neoliberalisten abhole, die hier der gleichen Meinung sind, denn die finde ich genauso schlimm.
  • Ich bin auch uneingeschränkt für das Recht Israels auf einen eigenen Staat. Nur bin ich halt auch ein Kritiker der israelischen Siedlungspolitik und ganz sicher kein Anhänger der amerikanischen Devise, die dem Staat Israel alles und den palästinensischen Siedlern nahezu nichts zugesteht.
    Aber hier muss ich aufpassen, dass ich nicht in das falsche politische Eck abgeschoben werde, den eine große Anzahl der „Linken“ solidarisiert sich ja gerne überschwänglich mit den palästinensichen Interessen und vergisst dabei, dass Hamas, Hisbollah und Co gar kein Interesse an einem Frieden mit Israel haben. Vielmehr sind es diese Organisationen, die ihr eigenes Volk opfern indem sie immer wieder israelische Militärschläge provozieren und sich dann in Krankenhäusern und Schulen verstecken, damit nur ja möglichst viele unschuldige Palästinenser drauf gehen um Israel alleine die Rolle des Bösen zuzuspielen. Und alle spielen diese Spiele mit und schlagen sich auf die eine oder andere Seite und….
    Aber ich bin nun einmal Marxist. Und ich bin mir sicher, dass Marx ein Riesenproblem mit Hamas, Hisbollah und Co gehabt hätte, ebenso wie mit Netanjahu. Und dass er sich entschieden für eine friedvolle Zweistaatenlösung ausgesprochen hätte. (Als Anekdote: Eine der treibenden Kräfte hinter der raschen Errichtung eines Staates Israel in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts war übrigens auch die Sowjetunion).
  • Und ich bin auch gegen Impfpflichten, weil Zwang immer nur Widerstand verursacht. Aber ich gehöre nicht den Coronaleugnern an, denn ich finde es großartig eine so gut verträgliche und effektive „Waffe“ gegen eine Pandemie zu haben. Nur, wenn ich jetzt sage: Ja ich bin gegen eine Impfpflicht, dann bin ich in den Augen vieler bereits abgedriftet.
  • Und ich bin bin für drastische Klimaschutzmaßnahmen, und zwar dort, wo es am wichtigsten ist. In der Industrie und im weltweiten Handel. Aber ich bin deswegen trotzdem kein superklebriger Aktivist (auch wenn ich es gut finde, dass durch extreme Maßnahmen der Fokus auf die Sache gelenkt wird).
  • Und ich bin kein Fan unserer Regierung und finde, dass da ordentlich viel schief läuft. Aber ich schreie deshalb ja noch lange nicht mit, wenn es heißt: … muss weg (das machen ja eher die ostdeutschen Wutbürger und die setzen da ja gerne aktuelle Namen ein – bei uns in Österreich wäre das aber etwas komplizierter. Denn so oft wie hier die Regierung wechselt kann man da schon mal den Überblick verlieren).

Und überhaupt bin ich nicht alleine durch eine Meinung etwas, oder jemand. Aber das muss man ja erstmal erklären können. Nur so lange hört einem gar niemand mehr zu.

Und den Stress kann ich mir dann halt auch nicht leisten.

Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. brigwords sagt:

    So ist es….gar nicht einfach

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