Der Feind in meinem Kopf

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Von Zeit zu Zeit nisten sie sich ein.

Das ist auch gar nicht ungewöhnlich, weil es jedem passiert und jeder das nachvollziehen kann. 

Nur meint man doch eigentlich: Das betrifft nur Andere. Ich bin nicht so!

Und in vielen Fällen will man das auch gar nicht, aber es geschieht fast ohne Möglichkeit es zu verhindern. 

Das Vorurteil!

Ich sitze in einer vollbesetzten U-Bahn, gestresst von den Gerüchen und Geräuschen. Und von den Menschen. Zu viele von Ihnen setzen mich immer unter Stress. Die Jugendlichen zum Beispiel, die ihre Musik viel zu laut aus den Smartphones und mp3 Playern dröhnen lassen. Keinen Respekt mehr haben die vor Anderen und interessieren sich gar nicht für ihre Mitmenschen. Verzogen, verwöhnt und ohne Anstand. Allesamt! Und die Frisuren, lächerlich, auf der einen Seite rasiert, auf der anderen nicht, oben auf dem Kopf glänzend und geschleckt zur Seite gewischt und mit diesen Hosen, die unten eng anliegen und über den Knien sehr schnell viel zu weit werden. Sieht allesamt komisch aus. Geschmack haben die alle keinen und eine Sprache… Nein nein, um die heutige Jugend ist es nicht gut bestellt. Keine Erziehung, keine Bildung… nur den schnellen Konsum im Kopf.

Und dann steigen plötzlich zwei Männer ein, beide mit Strickkäppi und Vollbart. Einer trägt einen großen offensichtlich vollgepackten Rucksack mit sich herum. Wortlos setzen sie sich neben mich und ich beginne unruhig zu werden. Sie reden kaum, sehen sich einfach nur gegenseitig an und der Eine hält seinen Rucksack fest umklammert. Mir wird zunehmend unwohl. Könnte…, ja was ist, wenn da wirklich… Ich meine, es ist ja schon passiert. Und dann? Hier so nahe dran würde ich gar nicht mehr viel mitbekommen, denke ich und fühle langsam die Schweißtropfen, die meinen Nacken hinabrinnen. Damals in London, in den Bussen, da war es vielleicht auch so. Da stiegen sie einfach ein die… (Ich wills ja gar nicht denken) und standen oder saßen mitten unter den Fahrgästen und vielleicht hatte da auch jemand ein ganz mieses Gefühl und hat nicht drauf gehört. Also überlege ich kurz, an der nächsten Haltestelle aus zusteigen. Aber wie sähe das aus? Zwei offensichtlich arabische Männer setzen sich neben mich und ich steige bei der nächsten Gelegenheit aus? Als würde ich nicht neben ihnen sitzen wollen. Will ich auch nicht, aber nicht weil sie Araber sind, sondern… Ja warum will ich nicht? Weil sie Araber sind und einen Rucksack haben? Ich schäme mich so sehr für dieses Empfinden. Aber ich habe ja gar nichts gegen Araber, gegen Moslems oder überhaupt gegen Migranten. Wenn ich nur nicht Angst hätte, Angst vor den Terroristen und dass sie mich aus meiner „heilen“ Welt sprengen könnten. Ich entscheide trotzdem sitzen zu bleiben. Vertrau einfach deinem Verstand sage ich mir und beginne langsam wieder klarer zu denken. Es sind zwei Männer, beide sehen sich recht ähnlich, aber das kann täuschen, schließlich geben die Bärte nur wenig vom Gesicht frei. Trotzdem gehören sie zusammen. Einer hat einen Rucksack.

Ich blicke durch den Waggon und schätze die Anzahl der Rucksäcke. Fast jeder hat einen dabei. Also gar nichts ungewöhnliches, eigentlich. Nur zwei Männer mit Rucksack.Und die Beulen am Rucksack sind rundlich, nichts deutet auf einen Sprengkörper hin. Keine heraushängenden Drähte, kein Ticken oder Zischen… Wird schon nichts sein, beruhige ich mich und beobachte weiter die Gesichter der beiden Männer. Sie sehen ruhig aus, in Gedanken. Aber vielleicht ist es gespielt und sie… Nein, das denke ich jetzt nicht. Ich drücke dieses mulmige Gefühl ganz weit nach unten. Das Telefon des Einen klingelt. Er spricht, wie erwartet, auf arabisch hinein. Er lacht dabei und scheint sich unbefangen zu unterhalten, eine Spur zu laut, aber auf jeden Fall gelöst. Nicht, was ich von jemandem erwarte, der sich an die Fersen des Propheten heften möchte und andere gleich mit ins Paradies oder die Hölle oder wohin auch immer, schicken will. Ich beruhige mich wieder und schäme mich noch mehr. Ich bin einem Stereotyp erlegen, mal wieder.

Ich steige dann endlich aus, bereit, mich davor zu hüten wieder einmal so zu reagieren. Ich sehe auf die Uhr. Die Zeit drängt, der Zug von Wien nach Graz wird auf mich nicht warten. Also laufe ich los. Auf der Rolltreppe quetsche ich mich unter mehrfachem Gemurmel ( „Entschuldigung… Sorry… Darf ich mal…“) links am Rand nach oben. Bis zu der älteren Dame, die in der Mitte steht, links einen Koffer und rechts den Spazierstock. Da komme ich nicht vorbei. Dann warte ich eben. Die Frau stolpert beinahe, oben angekommen. Ich halte mich schon bereit sie aufzufangen und hoffe, dass ich es nicht tun muss, meine Leiste macht mir ja gerade wieder Probleme, da brauch ich das nicht unbedingt. Zum Glück fängt sie sich selbst gut ab, wackelt nach links und rechts, schwankt, findet aber wieder Halt und geht langsam weiter. Ich setze gerade zum schwungvollen Überholmanöver an, als sie ebenfalls einen Schwenker nach Links macht. Ich erschrecke und breche ab. Ein lautes Seufzen entkommt mir, ich schüttle den Kopf. Alte Menschen glauben doch immer, die Welt gehörte ihnen und alle müssten sich nach ihren Bedürfnissen richten. Und wer es nicht tut ist unhöflich, undankbar und respektlos. Sie haben kein Verständnis für die jungen dynamischen Menschen, verstehen nicht, dass nicht jeder Zeit hat, bis sie an den Kassen der Supermärkte ihr Kleingeld gezählt oder bis sie en Schlitz des Selbstentwerters in der Straßenbahn getroffen haben. Ich habe auch keine Lust stundenlang beim Arzt zu sitzen, wegen einem Rezept, nur weil die Alten meinen sie müssen der Ärztin ihre ganze Lebensgeschichte erzählen. Alte Menschen bremsen das Leben und sind ständig schlecht gelaunt, rauscht es mir durch den Kopf, während ich rechts an der Frau vorbei springe, als sich eine kleine Lücke im Menschenstrom bildet. Aber ich drehe mich noch mal kurz um, will sie auch von vorne sehen, wie sie das Gesicht verzieht, vor Ärger über die jungen Rüpel heutzutage. Aber ich sehe nur eine alte Frau, die hilfesuchend den Blick schweifen lässt, überfordert von den Geräuschen und Lichtern, verloren inmitten der Masse nach dem richtigen Weg suchend. Sie bleibt am nächsten Abfahrtsbildschirm stehen und sucht verzweifelt nach etwas. Ich verharre längst schon in meiner eigenen Bewegung und beobachte sie, höre dabei kaum das Knurren des Mannes, der nicht an mir vorbeikommt und schimpft.

Langsam begebe ich mich zu der Dame und frage: „Kann ich Ihnen helfen“ Mit brüchiger, aber freundlicher Stimme erklärt sie mir, dass sie den Zug nach St. Pölten sucht, weil sie ihre Schulfreundin besuchen wolle. Aber am neuen Hauptbahnhof kenne sie sich überhaupt nicht aus. Ich sage ihr die Gleisnummer, erkläre ihr, wie sie hinkommt und wünsche ihr noch alles Gute, schäme mich aber dennoch ob meiner Gedanken von vorhin und geholfen habe ich ihr nur wegen meines schlechten Gewissens, das weiß ich und das ist noch ein weiterer Grund sich zu schämen, denke ich. Echte Hilfe geschieht ohne Eigennutz. Als ich sehe, dass mir nur noch drei Minuten bleiben bis mein Zug fährt, verabschiede ich mich knapp und renne los. Abgehetzt erreiche ich den Zug und springe hinein.

Keuchend stehe ich an der Tür zum Abteil und blicke mich um. Kaum noch freie Plätze zu sehen. Aber was solls, denke ich mir, irgendwo kann ich mich schon hinsetzen. Also gehe ich durch den schmalen Gang in der Mitte und mustere schnell die Menschen. Links ist ein Platz frei, aber da sitzt in Mann in fleckiger, zerrissener Jeansjacke mit Bierdose in der Hand. Der macht mir Angst. Vielleicht wird ihm während der Fahrt schlecht und er übergibt sich in meine Richtung oder er wird aggressiv und geht auf mich los. Oder er unterhält mich mit Schimpftiraden auf Ausländer, Juden und was weiß ich. Also weiter. Rechts ist ein Vierer-Platz frei an einem Tisch. Aber da sitzt eine Mutter mit drei Kindern. Das kann unangenehm werden. Laut, unruhig und mindestens eins der Kinder trägt eine Windel, ich erkenne sofort die ungleichmäßige Ausbeulung der Hose im Gesäßbereich. Lieber nicht, denke ich und suche weiter. Gleich danach wieder ein Doppelsitz mit einem jungen Mann, der Kopfhörer im Ohr hat. Sieht nach frischem Twen aus, mit i-Phone, Hochglanz Sneakern und Neon Cap. Nee, sicher so ein arroganter Vorstadt-Möchtegern-Gangster, der meint, er könne schon Beatboxen, wenn er nur mit vollem Mund zu pfeifen versucht. Lieber nicht. Da links eine Frau Mitte 20, Brille, langer Rock und karierte Strümpfe. Sicher ein graues Mäuschen, ein typisches Heimchen. Nein, da auch lieber nicht, die glaubt vielleicht noch, ich stehe auf sie und es entwickelt sich eine unangenehme Situation. Wann setzt sich schon mal freiwillig ein Mann neben sie? Direkt hinter ihr das genaue Gegenteil. Eine Frau, Anfang 20 oder jünger, enge Jeans (was sie sich jedenfalls leisten kann), knappes und für die Jahreszeit viel zu luftiges Oberteil, hübsches Gesicht. Sie sieht mich kurz an, dreht sich aber gleich wieder weg. Was hat sie? Bin ich so unansehnlich? Blöde arrogante Kuh, denke ich und gehe weiter. Der nächste freie Platz ist fast am Ende des Waggons. Ein Mann mittleren Alters sitzt an einem Tisch am Fenster, die restlichen drei Plätze sind frei. Er liest eine Zeitung und bemerkt mich erst gar nicht. Ich frage höflich ob etwas frei ist und setze mich, als er bejaht, ihm gegenüber hin. Der wirkt harmlos und sieht auch nicht aus, als würde er mir ein ungewolltes Gespräch aufs Auge drücken wollen. Perfekt.

Der Zug fährt ab und ein junger Mann hetzt gerade noch in den Waggon, blickt sich um und tritt seinen Gang an. Er sieht kurz zu den beiden freien Plätzen an meinem Tisch, wendet sich aber gleich ab und geht weiter. Was hat er sich gedacht, als er mich gesehen hat?

Er setzt sich zu der jungen hübschen Frau. Ich höre die ganzen nächsten zwei Stunden wie die beiden sich angeregt unterhalten und viel lachen, ganz unbefangen und ohne Scheu. Ich sitze auf meinem Platz und schweige den Mann mir gegenüber an, was er gleichermaßen erwidert.

Wunderbar, diese Vorurteile, denke ich mir und lächle in mich hinein. Wunderbar… Ein bitteres Lächeln…

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