Sozio… also Sozial… oder wie? Auf jeden Fall mit Menschen, oder?

Ja genau. Mit Menschen.

Ich werde oft gefragt, was ich eigentlich für einen Beruf habe. Denn was macht man als Soziologe eigentlich?

Irgendwas mit Menschen? Das kommt meistens als erstes. Sozio… das klingt nach Sozial… also eben irgendwie helfend, unterstützend. Auf jeden Fall menschenfreundlich.
Aber es klingt ja auch irgendwie nach Soziopath, finde ich, also das Gegenteil. Eher misanthropisch.
Aber die Wahrheit liegt in diesem Fall nicht dazwischen, sondern ganz woanders.

Die Soziologie ist eine Gesellschaftswissenschaft, die alles, das mit Gesellschaft zu tun hat empirisch untersucht. Einfach gesagt.
Oder, um es auf den Punkt zu bringen: Der Soziologe interessiert sich nicht für einen ganz bestimmten, einzelnen Menschen. Sondern immer nur für eine bestimmte Gruppe und ihren inneren Aufbau, sowie für ihre Beziehungen zu anderen Gruppen.

So wie eben ein Biologe nicht zwangsläufig ein Tierfreund ist, gibt es eben auch genug Soziologen, die andere Menschen nicht sonderlich mögen. Vor allem wenn man bedenkt, dass man sehr viele befremdliche Informationen über Menschen erhält, ist das durchaus nachvollziehbar.

Für einen Soziologen oder eine Soziologin ist der Mensch immer ein abhängiges Wesen. Wer wir sind, was wir sagen, tun und nicht tun, alles hat eine Historie, einen Hintergrund. Und Soziologen befassen sich damit.

Als Beispiel:

Nehmen wir an in einem Land steigt die Selbstmordrate an. Man will wissen warum das so ist und beauftragt eine Universität mit der Untersuchung. Jetzt nehmen wir vereinfacht an, die Universität wählt dazu einen Psychologen aus (was ja naheliegend ist) und einen Soziologen (auch verständlich).
Der Psychologe geht jetzt in psychiatrische Kliniken und Therapiezentren und befragt Patienten, die wegen suizidaler Tendenz in Behandlung sind zu ihren Beweggründen, Lebensumständen etc. Dadurch bekommt er ein Bild der einzelnen Betroffenen, aus dem sich vielleicht auch schon Zusammenhänge ergeben können. Aber nicht zwingend. Befragt er z.B. 30 Patienten könnte er 30 verschiedene Motive erhalten und somit keine zuverlässige Aussage über den Anstieg der Suizidrate treffen.
Der Soziologe geht anders heran. Er sieht sich die Statistik zu den Selbstmordraten an und untersucht diese schon mal auf Zusammenhänge (je nach Datenerfassung hat er zusätzliche Informationen wie: Alter, Familienstand, Beruf etc. bereits zur Verfügung). Daraus entwickelt er dann Hypothesen, wie z.B.: „Arbeitslose, geschiedene Männer über 50 neigen häufiger zu Suizid als junge, arbeitende Männer“. Solcherart Sätze formuliert er mehrfach. Diese Thesen überprüft er anhand der vorhandenen Statistiken und überlegt sich dazu, wie er an fehlende Daten kommt. Dann entwirft er eine Studie innerhalb derer er die entsprechenden Informationen noch einmal erhebt oder aus anderen Studien generiert (sog. Meta Studien). Und diese Studie wertet er dann aus und prüft seine Hypothesen anhand der Ergebnisse. Und daraus formuliert er dann unter Berücksichtigung theoretischer Literatur (also bisherige Untersuchungen, Lehr- und Denkschulen, wissenschaftliche Veröffentlichungen etc.) eine theoretische Annahme. Die eventuell eine Theorie wird oder auch nicht, je nach Ergebnis und Studiendesign.
Der Soziologe befasst sich also vor allem mit Zahlen, Daten, Fakten.
Menschen sieht er ebenso als genau dieses an.

Ja. Das machen Soziologen.
Wenn sie als Soziologen tätig sind.
Was auf die wenigsten zutrifft.
Die meisten Soziologieabsolventen landen früher oder später in anderen Branchen. Das liegt daran, dass es längst nicht so viele Forschungsstellen gibt wie Absolventen und dass solche Tätigkeiten in der Sozialforschung nicht unbedingt lukrativ sind. In der Marktforschung sieht es etwas besser aus, aber auch da konzentrieren sich die Aufträge auf einige wenige große Unternehmen, alle anderen halten sich mit kurzfristigen Projekten über Wasser.

So trifft man früher oder später Soziologen überall. In der Beratung, im Vertrieb, im Verkauf, an der Wursttheke oder im Taxi.
Aber das schöne am Soziologiedasein ist, dass man immer Soziologe ist. Man betrachtet die Menschen auch immer auf die soziologische Art.
Begegnet mir ein Mensch, dann versuche ich zu ermitteln wo er herkommt, welches Bildungsniveau er hat, was seine Eltern machen, wo er wohnt, wie er sich kleidet, wie er sich verhält, was er sagt, welche Worte er benutzt, was er konsumiert, wie er konsumiert, mit wem er sich umgibt und stecke ihn  so in Schubladen, Karteien, Datensammlungen.
In meinem Kopf natürlich. ich führe keine Tabelle über meine Mitmenschen… ehrlich nicht.
Also zumindest keine die Rückschlüsse auf reale Personen zulassen.
Alles anonymisiert natürlich.

Das also machen Soziologen und damit ist auch klar, warum es niemand genau weiß, weil niemand mehr zuhört, wenn man es so erklärt. Weil es halt kurz nicht geht.
Und weil Soziologen gerne reden und erklären.
Sehr gerne.
Und alles relativieren.
Wobei man nicht unbedingt sagen kann alles, denn es gibt durchaus auch Axiome in der Sozialwissenschaft. Und feste Annahmen, die allerdings wieder kulturabhängig sein können, das muss man halt berücksichtigen, darf also nicht gleich absolute Aussagen treffen darüber. Man muss da immer die Bedingungen im Blick behalten.

Genau. Alles relativ eben.

Also auch alles das ich hier geschrieben habe. Könnte auch ganz was anderes stehen. Wenn ich andere Erfahrungen gemacht hätte. Andernorts geboren wäre. Anderswo studiert hätte. Andere Jobs gehabt hätte.
Alles relativ eben.

Alles?

Das muss man auch relativieren. Vielleicht eben doch nicht.

Je nach Sichtweise eben.

 

Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. wurst&zimt sagt:

    Danke für den Einblick. 🙂

    Interessant zu wissen, dass Psychologie und Soziologie gemeinsam praktisch tätig werden. Bislang dachte ich immer, der Psychologe kenne nur diverse Happen aus der Soziologie und der Soziologe kenne wiederum diverse Happen aus der Psychologie. Doch letztlich koche jeder in seinem eigenen Topf.

    Das bringt mir nunmehr die bildhafte Vorstellung, dass der Psychologe sich den Formen und Gestalten der einzelnen Blätter an den Ästen annimmt, während der Soziologe eher die einzelnen Blätter im Verbund (oder: in der Gesamterscheinung) des Baumes interpretiert.

    Viele Grüße

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