Der Til, der Attila und der HC…

Ich finde es ja beeindruckend, wie viel man sagen kann, wenn man nichts zu sagen hat, das gleich einmal vorweg, zumindest können das manche Menschen sehr gut. Ich im übrigen auch, manchmal. Das kann auch mal Spaß machen, einfach die Luft „scheppern“ zu lassen, ohne Ziel oder Plan, einfach nur aus Spaß an der Freude.

Aber dann gibt es doch auch andere Fälle, wenn Menschen etwas sagen, das wenig Fundament hat und doch haften bleibt. Vielleicht weniger des Inhalts wegen, der mag dann gar nicht spektakulär oder beeindruckend sein, aber allein die Tatsache, dass sie etwas sagen ist es eben.

So ging es mir in den letzten Tagen (oder waren es schon Wochen?) mit Til Schweiger.

Ich muss dazu vorab bekennen, dass ich kein großer Til Schweiger Fan bin. War ich mal, damals in den 90er JAhren, als er Filme wie „Knocking on heavens door“ gemacht hat oder als er seine ersten zarten Gehversuche in Hollywood gesetzt hat („Punk“ war toll), aber spätestens seit „Kokowäh“ (oder wie der heißt) hatte er sich für mich erledigt. Also als Schauspieler.

Und jetzt das. Da bezieht er so klar Stellung gegen die Hetze und für die Flüchtlinge. Da möchte man ja gleich aufstehen und losmarschieren zur nächsten DEMO mit einem Til Schweiger Plakat.

Der deutsche Film-Rambo (ach wär er es doch nur geblieben, anstatt mit ohrlosen Häschen… okay, falsches Thema) als Wappen im verbalen Krieg gegen die Hetze der Dumpfbacken. Til Guevara auf T-Shirts. Großartig!

Aber gut, im Ernst.

Was mich dann doch sehr beeindruckt ist, dass er dran bleibt. Wie oft hört man von mehr oder minder prominenten Personen des öffentlichen Lebens irgendwelche Grundsatzsprüche die sie in irgendeinem Interview fallen lassen und weder begründet noch weiter verfolgt werden. „Freiheit für die schwulen Wale in Island…“ oder so. Mehr sagen sie dann aber doch nicht.

Der Til bleibt aber dran und steht dazu. Das finde ich gut. Eigentlich.

Das Problem ist nur folgendes:

Die ganze Flüchtlingsthematik verdient eine sehr viel nüchternere und exaktere Betrachtung. Natürlich ist es gut Stellung zu beziehen, aber man muss genauer hinsehen, will man etwas verändern.

Nicht jeder, der Angst vor den Menschenströmen hat, die gerade über das Herz Europas branden ist ein Rassist oder Nazi. Nicht einmal jeder von denen, die im Internet ausfällig werden und dämliche Kommentare abgeben. Vielmehr haben sehr viele einfach Angst. Angst vor Armut, vor Jobverlust, vor dem Verlust sozialdemokratischer Standards, vor einer weiteren Schwächung des Gesundheitssystems und vor einer Welt, die sie nicht mehr verstehen, weil eine ehemals dominante „Kultur“ (im Sinne einer in der jeweiligen Gesellschaftsgruppe vorherrschenden Weltbilds und Interaktionsstruktur) großen Veränderungen unterworfen ist.

Viele Menschen fürchten sich einfach vor der Zukunft. Das ist die große Kernaussage. Nicht unbedingt im fatalistischen Sinne, dass sie denken: „Oh je, uns droht der Untergang“, aber dann eben doch davor, dass sie morgen in einer Welt aufwachen, in der sie sich nicht mehr auskennen, in welcher erlernte Verhaltensweisen und Erkenntnisse nicht mehr funktionieren oder stimmen.

Und das sind eben nicht alles nur glatzköpfige Idioten, die da ihrem Unmut Raum geben.

Wenn man sie aber eben so tituliert, dann bewirkt man damit vor allem, dass sie sich in diese Schublade einfügen, weil sie dort ja ohnehin verortet werden. Soziales Labeling oder Etikettierung nennt man so etwas dann (https://de.wikipedia.org/wiki/Etikettierungsansatz). Das ist vor allem in der Betrachtung sozialer Abweichung (Devianz) ein gängiger Ansatz. Im Endeffekt treibt man damit genau jenen die Massen in die Armen, vor denen man diese eigentlich fern halten wollte.

Deshalb brauchen wir nüchterne Betrachtung der Thematik.

Vor den Toren Europas steht nicht Attila der Hunne, der über unsere Heimat herfällt und unsere Kinder in siedendem Öl braten will. Die Menschen die da kommen fliehen. Vor Krieg, Zerstörung, Armut und Unsicherheit. Sie kommen nicht um Europa zu erobern oder um uns etwas zu entreißen. Sie kommen, weil sie keine Wahl mehr haben. Das ist eine Tatsache und der müssen wir uns stellen. Wenn wir daran etwas ändern wollen, müssen wir dort etwas ändern, wo die Ungerechtigkeiten statt finden.

Der Norden Nigerias bspw. ist vor allem deshalb in den Händen fanatischer Fundamentalisten, weil die Gelder für das nigerianische Öl im Süden in ganz wenige Taschen verschwunden sind. Während im Süden des Landes ein für afrikanische Verhältnisse hoher Standard Einzug hielt, vegetierte der Norden vor sich hin, im täglichen Überlebenskampf. So karg die Böden für die Aussaat dort dann waren, so fruchtbar war er für Fanatismus.

Das gleiche erleben wir in den meisten arabischen Ländern. Dort füllen sich einige wenige Gruppen die Taschen mit dem Geld der westlichen Welt und die Mehrheit muss zusehen. Muss zusehen, wie Diktatoren, Ausbeuter und Ölscheichs mit Hilfe der großen Industrienationen In Geld und Öl baden, während sie selbst vom wenigen immer weniger haben.

Es gibt viel zu tun in dieser Welt und wenn wir wahre Gerechtigkeit erleben wollen, dann steht uns ein ganzer Haufen Arbeit bevor.

Und wenn wir das nicht wahr haben wollen, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn ein Wiener Zahnklempner daher kommt und die Massen hinter sich bringt.

Aber dazu brauchen wir eben auch mehr, als nur mediale Sprüche und Standpunkte. Dazu brauchen wir die Erkenntnis, dass wir handeln müssen. Im Kleinen wie im Großen. Nur einfach so weiter leben wie bisher und sich in Romantik versteigern a la: Alle Menschen sind Brüder und wir heißen jeden Willkommen, schließlich haben wir genug zu teilen, funktioniert da nicht. Zum einen, weil auch bei uns immer mehr Menschen eben nicht mehr genug zu teilen haben und zum Anderen, weil es nicht der Geiz ist, der die Menschen antreibt, sondern die Angst und gegen Angst hilft nur eines: Das Beseitigen der Angstauslöser. Also Beseitigung von Armut, sozialem Überlebensdruck und Ungerechtigkeit in der Gesellschaft.

Und das ist unsere tägliche Aufgabe. Für jeden von uns. Nicht nur für Til. Der spricht nur für sich. Wir müssen für uns selbst sprechen.

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